Player FM - Internet Radio Done Right
Checked 3d ago
Aggiunto quattro anni fa
Contenuto fornito da J. Feltkamp, U.Sumfleth and J. Feltkamp. Tutti i contenuti dei podcast, inclusi episodi, grafica e descrizioni dei podcast, vengono caricati e forniti direttamente da J. Feltkamp, U.Sumfleth and J. Feltkamp o dal partner della piattaforma podcast. Se ritieni che qualcuno stia utilizzando la tua opera protetta da copyright senza la tua autorizzazione, puoi seguire la procedura descritta qui https://it.player.fm/legal.
Player FM - App Podcast
Vai offline con l'app Player FM !
Vai offline con l'app Player FM !
76. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 328, K07
Manage episode 389986038 series 2941984
Contenuto fornito da J. Feltkamp, U.Sumfleth and J. Feltkamp. Tutti i contenuti dei podcast, inclusi episodi, grafica e descrizioni dei podcast, vengono caricati e forniti direttamente da J. Feltkamp, U.Sumfleth and J. Feltkamp o dal partner della piattaforma podcast. Se ritieni che qualcuno stia utilizzando la tua opera protetta da copyright senza la tua autorizzazione, puoi seguire la procedura descritta qui https://it.player.fm/legal.
In der geschichteten Gesellschaft hatten Adel und Volk nicht die gleichen Rechte. Infolge des Justizverweigerungsverbots entfallen solche gesamtgesellschaftlichen Vorgaben für die Rechtsentscheidung. Gerichte ersetzen sie durch Vorgaben, die sie autonom definieren können und die ausschließlich ihrer Funktion dienen: Profession und Organisation. Die „gottgebene“ Schichtung der Ständegesellschaft ist kein Entscheidungskriterium mehr. Das Gericht ersetzt derlei Vorgaben durch selbst bestimmbare Vorgaben: Organisation und Profession werden entscheidend dafür, wer wie unter welchen Bedingungen „Mitglied“ des Gerichtssystems werden kann und wie Entscheidungen herbeizuführen sind. Beide Vorgaben sind funktional orientiert. Sie dienen der Autopoiesis und damit der Autonomie. Das Gerichtssystem organisiert seine Kommunikation selbst – in Form von Behörden, Ausbildungsbedingungen, Kompetenznachweisen, Selbstaufsicht etc. Evolutionär war diese Entwicklung riskant. Immerhin wurde die Rechtsentscheidung von einer Vorgabe abgeschnitten, die jahrtausendelang das Weltbild geprägt hatte. Auch wenn es Kritik gibt, die bezweifelt, dass Gerichte unabhängig vom sozialen Ansehen entscheiden würden – es bleibt die soziologische Frage: Welche sozialen Einrichtungen waren nötig, um eine derartige Autonomie zu behaupten und abzusichern? Als Voraussetzungen kann man feststellen: Profession und Organisation. Aber was bedeutet das? Die Theorie sozialer Systeme bricht diese Begriffe auf die operationale Ebene herunter: Beides sind Operationen, die durch Kommunikation ausgeübt werden. Die Kommunikation ist funktional, sie dient der Grenzziehung zwischen Gerichtssystem und Umwelt. Indem das Gerichtssystem laufend eingrenzt, was professionell/unprofessionell ist, reproduziert es sich selbst. Der Begriff der Autopoiesis wird hierin erneut greifbar: Wie jedes soziale System, reproduziert auch das Gerichtssystem alle Kommunikationen, aus denen es besteht, ausschließlich selbst. Wie man RichterIn werden kann, was als professionell zu gelten hat, all das kann das Gericht selbst definieren und laufend internen Bedürfnissen anpassen. Die gesamtgesellschaftliche Vorgabe der Schichtung wird durch systeminterne Vorgaben ersetzt: Es braucht juristische Kompetenz, um Rechtsentscheidungen zu treffen. Durch Kompetenz wird dann auch die Frage entschieden, welche Organisationen ein Gerichtssystem braucht, welche Rollen es gibt und wie diese Organisationen zu arbeiten haben. Das System reguliert sich selbst und zwingt sich zur Selbstbeobachtung. Es gibt eine Dienstaufsicht. Es definiert, wie viel erledigt werden muss. Es koordiniert zeitliche Abläufe durch Termine. Die Interaktion im Gerichtssaal bedeutet Kommunikation unter Anwesenden und ist durch selbst entworfene Verfahrensregeln festgelegt. Der Umgang mit Fehlern ist systemintern reglementiert. Interne Streitigkeiten werden durch Argumentation gelöst, die wiederum professionell sein muss. Wer welche Positionen, Einkommen und Karrierewege einschlagen kann, wird ebenso durch Kommunikation definiert. Profession ist die Voraussetzung für Organisation. Karrierefragen werden durch Selbst- plus Fremdreferenz entschieden. Zwei Perspektiven müssen miteinander abgeglichen werden. Dies mag sich systemintern auf das Verhalten von RichterInnen auswirken. Die Umwelt könnte aber ihr Verhalten nicht „steuern“. Ein negatives Presse-Echo auf ein Urteil würde nichts am Gehalt, an der Position und an der Rechtsgültigkeit der Entscheidung ändern. RichterInnen können nicht für die Folgen ihrer Entscheidung verantwortlich gemacht werden! Durch Organisation wird dieses Risiko abgedeckt. Organisation ermöglicht Unverantwortlichkeit für die Folgen von Entscheidungen. Profession und Organisation sind also funktional äquivalent. Durch Profession kann das Gericht autonom entscheiden... Vollständiger Text auf luhmaniac.de
…
continue reading
88 episodi
76. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 328, K07
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
Manage episode 389986038 series 2941984
Contenuto fornito da J. Feltkamp, U.Sumfleth and J. Feltkamp. Tutti i contenuti dei podcast, inclusi episodi, grafica e descrizioni dei podcast, vengono caricati e forniti direttamente da J. Feltkamp, U.Sumfleth and J. Feltkamp o dal partner della piattaforma podcast. Se ritieni che qualcuno stia utilizzando la tua opera protetta da copyright senza la tua autorizzazione, puoi seguire la procedura descritta qui https://it.player.fm/legal.
In der geschichteten Gesellschaft hatten Adel und Volk nicht die gleichen Rechte. Infolge des Justizverweigerungsverbots entfallen solche gesamtgesellschaftlichen Vorgaben für die Rechtsentscheidung. Gerichte ersetzen sie durch Vorgaben, die sie autonom definieren können und die ausschließlich ihrer Funktion dienen: Profession und Organisation. Die „gottgebene“ Schichtung der Ständegesellschaft ist kein Entscheidungskriterium mehr. Das Gericht ersetzt derlei Vorgaben durch selbst bestimmbare Vorgaben: Organisation und Profession werden entscheidend dafür, wer wie unter welchen Bedingungen „Mitglied“ des Gerichtssystems werden kann und wie Entscheidungen herbeizuführen sind. Beide Vorgaben sind funktional orientiert. Sie dienen der Autopoiesis und damit der Autonomie. Das Gerichtssystem organisiert seine Kommunikation selbst – in Form von Behörden, Ausbildungsbedingungen, Kompetenznachweisen, Selbstaufsicht etc. Evolutionär war diese Entwicklung riskant. Immerhin wurde die Rechtsentscheidung von einer Vorgabe abgeschnitten, die jahrtausendelang das Weltbild geprägt hatte. Auch wenn es Kritik gibt, die bezweifelt, dass Gerichte unabhängig vom sozialen Ansehen entscheiden würden – es bleibt die soziologische Frage: Welche sozialen Einrichtungen waren nötig, um eine derartige Autonomie zu behaupten und abzusichern? Als Voraussetzungen kann man feststellen: Profession und Organisation. Aber was bedeutet das? Die Theorie sozialer Systeme bricht diese Begriffe auf die operationale Ebene herunter: Beides sind Operationen, die durch Kommunikation ausgeübt werden. Die Kommunikation ist funktional, sie dient der Grenzziehung zwischen Gerichtssystem und Umwelt. Indem das Gerichtssystem laufend eingrenzt, was professionell/unprofessionell ist, reproduziert es sich selbst. Der Begriff der Autopoiesis wird hierin erneut greifbar: Wie jedes soziale System, reproduziert auch das Gerichtssystem alle Kommunikationen, aus denen es besteht, ausschließlich selbst. Wie man RichterIn werden kann, was als professionell zu gelten hat, all das kann das Gericht selbst definieren und laufend internen Bedürfnissen anpassen. Die gesamtgesellschaftliche Vorgabe der Schichtung wird durch systeminterne Vorgaben ersetzt: Es braucht juristische Kompetenz, um Rechtsentscheidungen zu treffen. Durch Kompetenz wird dann auch die Frage entschieden, welche Organisationen ein Gerichtssystem braucht, welche Rollen es gibt und wie diese Organisationen zu arbeiten haben. Das System reguliert sich selbst und zwingt sich zur Selbstbeobachtung. Es gibt eine Dienstaufsicht. Es definiert, wie viel erledigt werden muss. Es koordiniert zeitliche Abläufe durch Termine. Die Interaktion im Gerichtssaal bedeutet Kommunikation unter Anwesenden und ist durch selbst entworfene Verfahrensregeln festgelegt. Der Umgang mit Fehlern ist systemintern reglementiert. Interne Streitigkeiten werden durch Argumentation gelöst, die wiederum professionell sein muss. Wer welche Positionen, Einkommen und Karrierewege einschlagen kann, wird ebenso durch Kommunikation definiert. Profession ist die Voraussetzung für Organisation. Karrierefragen werden durch Selbst- plus Fremdreferenz entschieden. Zwei Perspektiven müssen miteinander abgeglichen werden. Dies mag sich systemintern auf das Verhalten von RichterInnen auswirken. Die Umwelt könnte aber ihr Verhalten nicht „steuern“. Ein negatives Presse-Echo auf ein Urteil würde nichts am Gehalt, an der Position und an der Rechtsgültigkeit der Entscheidung ändern. RichterInnen können nicht für die Folgen ihrer Entscheidung verantwortlich gemacht werden! Durch Organisation wird dieses Risiko abgedeckt. Organisation ermöglicht Unverantwortlichkeit für die Folgen von Entscheidungen. Profession und Organisation sind also funktional äquivalent. Durch Profession kann das Gericht autonom entscheiden... Vollständiger Text auf luhmaniac.de
…
continue reading
88 episodi
Tutti gli episodi
×L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 86. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 377, K08 1:40:00
1:40:00
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:40:00Über den historischen Argumentationsprozess, der den Sinngehalt von Begriffen abschleift, und die Funktion der Rechtsdogmatik für das Rechtssystem. Juristische Argumentation interpretiert geltendes Recht und versucht, ihre Auslegung von ausgewählten Begriffen überzeugend zu begründen. Aus den Begriffen selbst lässt sich die Begründung jedoch nicht ableiten. Der Sinn des Begriffs – worauf verweist er? – wird erst im Argumentationsprozess ausgelotet. Dies geschieht, indem verschiedene Auslegungsmöglichkeiten erörtert werden. Dabei wird der Begriff auf der Wenn-Seite von Konditionalprogrammen eingesetzt, und es werden die Dann-Folgen eingeschätzt, also die Konsequenzen dieser Auslegung. Erst aus diesem Prozess ergibt sich die Begründung. Auf diese Weise werden sukzessive Unterscheidungen unterschieden. In Zukunft kann man sich darauf zurückbeziehen, welche Auslegungen sich bewährt/nicht bewährt haben. Der Vorrat an Auslegungsmöglichkeiten wächst. Bei späterem Zugriff muss man nicht mehr die gesamte Entstehungsgeschichte rekapitulieren. Es reicht, sich auf ihr Resultat zu beziehen. Kurz, Begriffe ermöglichen einen wahlfreien Zugriff auf bereits bewährte Unterscheidungen. Argumentationsprozesse organisieren emergente Unterscheidungen. Emergenz bedeutet: Die Verknüpfung von Elementen erzeugt mehr als die Summe ihrer Teile. Durch die Verknüpfung entsteht etwas Neues, nicht Vorhersehbares. Auf Recht bezogen heißt das: Immer mehr Wenn-Bedingungen können mit immer mehr Dann-Folgen kombiniert werden. Begriffe speichern also Unterscheidungen ab, die zu ihrer Auslegung geführt haben. Diskutierte Unterscheidungen enthalten Informationen und ermöglichen Redundanz, im Sinne einer schnellen, wenig erläuterungsbedürftigen Bezugnahme. Abgeschliffene Rechtsbegriffe weichen zwangsläufig immer mehr vom Alltagsbegriffsverständnis ab. Begriffe sind historische Artefakte. Der Argumentationsprozess kondensiert (verdichtet) und konfirmiert (bestätigt) ihren Sinngehalt. Wie das Verständnis eines Begriffs über einen oft langen Zeitraum herangereift ist, wird im aktuellen Gebrauch jedoch nicht miterinnert. Namen deuten den Reifeprozess an. Etwa: ratio decidendi (rationale Entscheidung). Die Historie ist darin gespeichert und kann wieder thematisiert werden. Argumentation mit Begriffen ist entsprechend historisch, ebenso die Jurisprudenz als Lehre vom geltenden Recht. Geschichtlichkeit bedeutet auch: Begriffe beruhen weder auf einem „Prinzip“, noch bilden sie ein „System“. Sie sind keine autopoietisch geschlossenen Systeme, wie soziale, psychische oder Zellsysteme. Ihren Sinn bestimmen Argumentationsprozesse. Neue Begriffe erzeugen neue Problemkreise. Das reichert den Sinnhorizont des Begriffs abermals an. Z.B. wirft der Begriff „Delegation“ Fragen auf, wie: Darf ein Delegierter von Befugnissen seine Befugnisse weiterdelegieren? Das Recht müsste dann generell festlegen, wie diese Frage zu bewerten ist. Man sieht, Begriffe entwickeln ein „Eigenleben“: Sie können multilaterale Denkschulen entfalten, Emergenz produzieren. Wenn ein spezifischer Auslegungsstrang später nicht mehr mitgemeint sein soll, braucht es einen weiteren Begriff, der dieses Nicht-Mitmeinen zum Ausdruck bringt und sich davon abgrenzt. Eine „Definition“ von Begriffen anhand von „Merkmalen“ ist nach heutigem Wissensstand nicht mehr sinnvoll. Auch ist es keine Frage mehr, was die „Quelle“ des Rechts wäre. Sämtliches Recht ist positiv, das Resultat von Kommunikationen. In welchem Verhältnis stehen Begriffe und Rechtsdogmatik? Unter Dogmatik versteht Luhmann die Notwendigkeit, mit Begriffen argumentieren zu müssen. Damit Begriffe jedoch nicht endlos „hinterfragt“ werden können, hat das Rechtssystem „Stoppregeln“ eingebaut. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 85. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 377, K08 1:19:33
1:19:33
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:19:33Eine Letztbegründung von Gründen mit „Gott“ wäre im positiven Recht der Moderne nicht mehr zulässig. Wie werden Argumente stattdessen begründet? Luhmann hebt die Beurteilung der Folgen von Rechtsentscheidungen hervor. Im alteuropäischen Recht der Vormoderne konnte man sich bei der Interpretation von Texten noch auf Gott berufen. Gottes Wille äußerte sich in der Natur. Der menschlichen Natur ließ sich Vernunft zuschreiben, die es dem „Subjekt“ ermöglichte, „objektive“ Erkenntnis zu gewinnen. Mit solchen Begründungsbegriffen ließ sich „gut“ argumentieren: Sie stützten sich gegenseitig. Gott war Ursprung und Letztbegründung zugleich. Mit der Säkularisierung brauchte es Ersatz. Das positive Recht der Moderne ist „menschgemacht“ und entsteht durch Kommunikation – die immer kontingent ist. Welche Vorgehensweise bei der Suche nach „guten“ Begründungen finden wir heute vor? Die Theorie sozialer Systeme nennt hier die Beurteilung der Folgen einzelner Rechtsentscheidungen. Folgeneinschätzung ist zum Standard in der Argumentation geworden. Die Interpretation legt verschiedene Szenarien zugrunde und schätzt jeweils ein: Welche Folgen könnten sich ergeben, je nachdem, welche Regel man zugrunde legt? Bereits im Naturrecht war es üblich gewesen, Folgen abzuschätzen. Das Prinzip der Billigkeit diente dazu, die Angemessenheit möglicher Folgen zu beurteilen. Heute hat sich die Kontrolle des Rechts anhand der Einschätzung von erwünschten/unerwünschten Folgen als einzig überzeugendes Prinzip in Rechtstheorie und Praxis durchgesetzt. Die Vorgehensweise gilt als allgemein akzeptiert. Die Theorie sozialer Systeme hinterfragt diese Operationsweise jedoch tiefer: Was beobachten wir (die Soziologie), wenn wir diese Vorgehensweise beobachten? Verlangt wird also eine Beobachtung zweiter Ordnung. Wir beobachten, wie Beobachter beobachten. Aus dieser Perspektive können wir zunächst etwas ausschließen: Nicht beobachtbar ist, dass das Recht mithilfe der Beurteilung etwaiger Folgen von Rechtsentscheidungen einen Zweck verfolgen würde. Zweckprogramme wendet die Politik an: Um ein Ziel zu erreichen, wird ein Gesetz beschlossen. Auch die Politik schätzt ein, welche Folgen das Gesetz haben könnte: Vor allem „Risiken“ (eine Unter-Unterscheidung von Gefahr) werden eingeschätzt. Im Recht wird jedoch nicht mit „Um zu“-Begründungen argumentiert. Stattdessen arbeitet die rechtliche Argumentation mit Konditionalprogrammen, mit Wenn-dann-Bedingungen. Folgeneinschätzung in Recht und Politik sind nicht dasselbe. Für das Recht geht es nur um systeminterne Folgen. Im Zentrum steht die Frage, wie sich die Anwendung einer Regel auf zukünftige Entscheidungen auswirken könnte. Dabei müssen zwar auch verschiedene Möglichkeiten des Verhaltens in der Umwelt konstruiert und Annahmen „durchgespielt“ werden. Dies geschieht jedoch nur, um systeminterne Konsequenzen einzuschätzen. Eine in der Politik typische Prognose, wie die Umwelt reagieren könnte, z.B. KonsumentInnen, braucht es dagegen nicht. Die Beurteilung etwaiger Rechtsfolgen dient nur der internen Konsistenzpflege. Die Einschätzung bereichert den Vorrat an Redundanzen, auf die man sich zukünftig argumentativ beziehen kann. Welchen Unterschied es macht, ob das Recht nur systeminterne oder auch die Umwelt betreffende Folgen ins Kalkül zieht, wird leicht übersehen. Die Frage ist, ob es auf Dauer möglich sein wird, sich als operativ geschlossenes Rechtssystem gegenüber den externen Folgen der Rechtsprechung zu verschließen. (Z.B.: Folgen für den Klimaschutz.) In dieser Frage blitzt der politische Begriff des Interesses auf. Rechtsprechung hat Konsequenzen für die davon potenziell Betroffenen. Bei der Lebensrettung kann man ein Interesse des Retters unterstellen, für etwaige Schäden durch seine Hilfsaktion entschädigt zu werden. Andernfalls könnte das Risiko für ihn zu hoch sein, im Notfall zu helfen – könnte man unterstellen. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 84. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 372, K08 1:35:25
1:35:25
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:35:25Gründe sind ausgewählte Unterscheidungen, die bei der Interpretation eines Rechtstextes in der juristischen Argumentation angeführt werden. Um im Recht als „guter“ Grund anerkannt zu werden, muss die Begründung zudem zeigen, dass sie konsistent mit geltendem Recht ist. Aber welche Funktion erfüllt das Argumentieren überhaupt? Wozu braucht es Begründungen? Gehen wir vom Anspruch des Rechtssystems aus, alleinzuständig für die Produktion von geltendem Recht zu sein. Rechtsgeltung ist das Symbol des Systems. Allerdings ist Rechtsgeltung eine Tautologie: Das Recht gilt, weil das Recht besagt, dass die Geltung rechtens ist. Gründe verhüllen diese Tautologie. Mit „guten“ Gründen (geprüft, konsistent, rechtlich anerkannt) begründet das Recht, warum welches Recht gilt. Abstrakter formuliert, erklärt die Theorie sozialer Systeme die Funktion des Begründens in der Argumentation mit der Unterscheidung von Redundanz und Varietät. Begründungen symbolisieren Redundanz. Bei der Interpretation eines Rechtstextes wendet der Interpret die leitenden Systemunterscheidungen – Recht/Unrecht, gleicher/ungleicher Fall – auf jede einzelne Überlegung an. Dabei muss er beweisen, dass seine ausgewählten Unterscheidungen konsistent mit geltendem Recht sind. Varietät entsteht dabei von selbst: sobald der Fall ungleich ist. Dann muss er auch ungleich behandelt werden. Die Argumentation jongliert also mit Redundanz und Varietät. Beide sind Variable. Redundanz liegt vor, wenn eine Begründung dafür plädiert, die Eigenartigkeit des Falls einem schon vorhandenen Falltypus zuzuordnen und dafür bewährte Entscheidungsprogramme und Regeln anzuwenden. Mit Varietät wird sparsam umgegangen. Denn jeder Fall gebärdet sich natürlich als einzigartig. Durch den permanenten Check von Gleichheit/Ungleichheit des Falls verhindert die Argumentation jedoch, immer dieselben Redundanzen anwenden zu können. In dieser Operationsweise kann man auch eine Selbstbeschreibung des Systems erkennen: Das Rechtssystem produziert „Gerechtigkeit“ in einem systemspezifischen Sinne. Es bezieht sich permanent auf geltendes Recht (Redundanz) und variiert in ungleichen Fällen. Gerechtigkeit ist dabei kein Argument an sich. Die Theorie sozialer Systeme weist also auf die Ebene der Beobachtung dritter Ordnung hin. Von dieser Warte aus kann man ein Unterscheidungsschema mitten im Begründen erkennen. Durch die Unterscheidung von Redundanz/Varietät handhabt das System die Tautologie der Rechtsgeltung in der Praxis. Durch diese Vorgehensweise verschafft es sich soziale Akzeptanz, kontrolliert sich selbst, schützt sich selbst vor Überlastung und bleibt lernfähig.…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 83. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 362, K08 2:08:15
2:08:15
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
2:08:15Redundanz bedeutet im Rechtssystem: Um eine neue Information einzuordnen, bezieht man sich auf schon vorliegende Informationen. Diese sind schriftlich in Texten fixiert und schränken den Auswahlbereich dessen, was daran angeschlossen werden kann, ein. Doch der Text muss ja noch interpretiert und in Bezug zum aktuellen Fall gesetzt werden. Und wer interpretiert, muss antizipieren, ob die Auslegung auch für andere Kommunikationsteilnehmer überzeugend sein wird. Interpretation ist damit ein soziales Verhalten. Ausgewählt werden Unterscheidungen, die auch für andere Kommunikationsteilnehmer überzeugend sein sollen. Wie andere Teilnehmer dann tatsächlich daran anknüpfen, ist nicht zweifelsfrei vorhersehbar. Das heißt: Solange die Diskussion darum kreist, wie ein Text zu interpretieren ist, konstituiert der Text für die Beteiligten ein soziales Medium. Jeder Sachverhalt, der entschieden wird, bildet eine Kommunikationsepisode. Dabei ist die Auswahl der Begriffe, mit denen ein Argument begründet wird, kontingent. Das heißt: Es könnte auch anders ausgewählt werden. Hermeneutik, Dialektik und Rhetorik gingen noch davon aus, ein „Subjekt“ könne „objektiv“ die „Wahrheit“ erkennen. Die Theorie sozialer Systeme geht jedoch davon aus, dass jede Beobachtung eine Konstruktion eines Beobachters ist. Sie kann nur mit Begriffen geschildert wird, deren Auswahl kontingent ist. Eine Besonderheit des Rechts besteht darin, dass jeder Fall entschieden werden muss (Justizverweigerungsverbot). Darum ist auch die Argumentation entscheidungsgetrieben. Sie bezieht sich laufend auf Entscheidungen anderer. Man orientiert sich an der im Fachgebiet „vorherrschenden Meinung“, verfolgt Entscheidungen anderer Gerichte und beurteilt Präzedenzentscheidungen entlang der Frage, welche Entscheidungsregeln ihnen zugrunde gelegt wurden. Je nachdem, ob der Sachverhalt im aktuellen Fall gleich/ungleich ist, ist dann zu entscheiden, ob dieselbe Regel wieder anwendbar ist oder nicht. Immer geht es darum, einerseits universelle Entscheidungsgründe zu finden, die künftig auf gleiche Fälle desselben Typs angewendet werden können. Und andererseits spezifische Entscheidungsgründe, die sich aus der Besonderheit des Falls ergeben. Die Argumentation bereitet die finale Entscheidung dabei „nur“ vor. Sie selbst produziert noch kein geltendes Recht. Ihre Funktion ist es, den Auswahlbereich von final zu treffenden Entscheidungen einzuschränken. Wir finden also eine Doppelstruktur vor: geltende Texte und argumentative Begründungen. Die Argumentation bezieht sich redundant auf normativ anzuwendende Regeln und Prinzipien. Sie selbst ist aber kein normativer Prozess. Im Gegenteil. Nur wenn die Argumentation auch Enttäuschungen produziert, aus denen sich etwas lernen lässt, können normative Regeln und Prinzipien formuliert werden, auf die sich zukünftige Argumentationen beziehen können. Erst auf diese Weise entsteht eine Rechtsdogmatik, die sich selbst als Rechtsquelle behandeln kann. Gründe werden bei der Interpretation als „gute“ Gründe dargestellt. Es wird so logisch und so „objektiv“ wie möglich begründet. Im Ergebnis erscheint Argumentation als Kondensat aus geprüften „guten“ Gründen – eben als das, was man „Institution“ nennen kann. Die Theorie sozialer Systeme weist jedoch darauf hin, dass es keine Letztbegründung für Gründe geben kann. Auch die Vernunft kann sich nur mit sich selbst begründen (Tautologie). Vollständiger Text auf luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 82. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 356, K08 1:14:30
1:14:30
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:14:30Redundanz und Varietät sind zwei sich gegenseitig steigernde Bedingungen der Möglichkeit juristischer Argumentation. Insbesondere durch sequenzierte Konditionalprogramme erhöht das Rechtssystem seine Varietät. Gerechtigkeit bedeutet im Rechtssystem konsistentes Entscheiden. Konsistenz wiederum wird in der juristischen Argumentation durch Redundanz gewährleistet. Sie sorgt dafür, dass jede einzelne Entscheidung im Verlauf des Kommunikationsprozesses konsistent ist. Mangelnde Konsistenz kann als Fehler bemängelt werden. Auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung scheint es nur um dieses Erkennen von Fehlern zu gehen. Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung lässt sich jedoch erkennen: Dieser Operationsmodus, die Art und Weise, wie die rechtliche Kommunikation voran prozessiert, ist eine Bedingung der Möglichkeit dafür, dass die Gesellschaft ihr Rechtssystem als autonomes Kommunikationssystem anerkennt. Denn Redundanz schränkt die Möglichkeiten funktional ein, mit denen an den Neuigkeitsgehalt einer Information angeschlossen werden kann. Zugleich zwingt sie dazu, ungleiche Fälle als ungleich zu markieren und die Varietät zu steigern. Varietät heißt: Das System ist in der Lage, viele verschiedenartige Fälle zu bearbeiten. Die Begriffe Information, Redundanz und Varietät hängen wie folgt zusammen: Redundanz ist diejenige Information, die man schon hat, um eine neue Information zuordnen zu können. Varietät ist die Information, die einem dazu noch fehlt. Sie muss erst ermittelt werden. Das heißt, von einem vorliegenden Fall aus der Vergangenheit muss mithilfe von Redundanzen auf den aktuellen Fall geschlossen werden. Ist er ungleich, ist Varietät notwendig. Redundanzen haben unterschiedliche Qualitäten. Manche Formen sind mit mehr Varietät kompatibel als andere. Luhmann hebt sequenzierte Konditionalprogrammen hervor: Durch Wenn-dann-Programme lassen sich mehrere Bedingungen miteinander vernetzen. Wenn A und B und C gegeben sind, dann… Diese Bedingungen müssen alle gleichzeitig gegeben sein. Sie sind nicht hierarchisch, sondern heterarchisch miteinander vernetzt. Je mehr Bedingungen eingezogen sind, desto mehr Anschlussmöglichkeiten ergeben sich logisch daraus. Kurz: Durch sequenzierte Konditionalprogramme steigert das System seine Varietät. Beschreiben lässt sich ein solcher Operationstypus auch mit anderen Begriffen. Man kann auch sagen: Das Rechtssystem legt Falltypen fest und schließt von einem Typus auf einen anderen. Oder: Es legt Rechtsinstitute fest und organisiert seine Vorgehensweise über Prinzipien. In jedem Fall lässt sich erkennen: In Form von Wenn-dann-Programmen legt das Recht Bedingungszusammenhänge fest. Ein in einem Institut entwickeltes Programm gilt dann aber nicht „automatisch“ für alle anderen Institute oder Fälle. Was verschiedene Rechtsgebiete entwickeln, ist nur lose miteinander gekoppelt („loose coupling“), nicht strikt. Varietät und Redundanz steigern sich gegenseitig. Durch mehr Redundanz lässt sich mehr Varietät herauskitzeln. Und mehr Varietät steigert – wie nebenbei – die Anzahl zukünftiger Redundanzen. Jede Variation eines Sachverhalts macht es erforderlich, neue Regeln zu bilden, um die Abweichung zu managen. Die neue Regel schafft dann wiederum neue Anschlussmöglichkeiten für zukünftige Fälle und zukünftige Abweichungen. Man landet beim Evolutionsbegriff: Evolution ist der Prozess aus Variation, Selektion und Restabilisierung. In der Kommunikation heißt das: Jede einmal akzeptierte Variation bietet neue Anschlussmöglichkeiten für weitere Variationen. Die Evolution verläuft zirkulär. Variationen ermutigen dazu, Variationen zu wagen. Auf diese Weise kann das Recht auch auf veränderte Erwartungen aus der Umwelt reagieren, z.B. im Klimaschutz. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 81. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 352, K08 1:35:28
1:35:28
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:35:28Die Bedingungen der Möglichkeit juristischen Argumentierens bestehen aus einer Kombination von Institutionalisierung und Redundanz. Was bedeutet das? Wenn man fragt, welche evolutionären Entwicklungen vorausgehen müssen, damit sich juristische Argumentation entfalten kann, bieten sich zwei Voraussetzungen an. Die erste besteht darin, dass sich die Rechtskommunikation institutionalisiert. Dies schränkt den Auswahlbereich möglicher Kommunikationen ein. Die zweite Voraussetzung ist, dass innerhalb dieses Rechtsinstituts normativ Redundanz angewendet wird. Redundanz erfüllt die Funktion, diejenigen Informationen auszuwählen, die rechtsrelevant sind. Um zu beobachten, wie das Rechtssystem in der Argumentation seine Selbstreproduktion vollzieht, unterscheidet Luhmann Information von Redundanz. Eine Information ist der Überraschungswert einer Nachricht, der Neuigkeitswert. Redundanz schränkt nun die Anschlussmöglichkeiten ein. Sie selbst ist keine Information, sie enthält nichts, was nicht schon bekannt wäre. Stattdessen verweist sie darauf, dass die Information in der institutionell vorgeschriebenen Weise überprüft werden muss, inwiefern sie für die Entscheidungsfindung relevant ist. Soziale Systeme benutzen immer beide Operationsweisen. Während Informationen neue Anschlussmöglichkeiten generieren, schränkt das laufende Bewusstmachen von Redundanz die Anschlussmöglichkeiten ein. Die Kommunikation muss stets sowohl auf das Neue (die Information) als auch auf das Redundante Bezug nehmen. Redundanz ermöglicht Indifferenz in der Kommunikation. Ein vager Hinweis reicht. Weder ist es nötig zu erörtern, was der Hinweis für alle anderen Operationen des Systems bedeutet, noch für die Umwelt, z.B. für die Wirtschaft. Rein sprachlich findet sich im Recht zwar ein hohes Maß an Redundanz: Viele Formeln und Sprüche eignen sich dafür, in diversen Situationen angewendet zu werden. Da jedoch viele Rechtsbegriffe unspezifisch sind, ist das eher Rhetorik. Im konkreten Fall muss semantisch präzisiert werden, was Redundanz in Bezug auf eine Information bedeutet. Das macht Arbeit und kostet Zeit. Es ist darum im „Interesse“ des Systems, sich nicht selbst mit zu vielen Informationen zu überlasten. Neben dieser Funktion, das System vor Überlastung zu schützen, dient Redundanz dazu, Fehler zu erkennen und zu vermeiden. Je mehr Informationen ein komplexes System wie das Recht verarbeitet, desto mehr Redundanzen braucht es auch, um sich selbst überprüfen zu können, ob es fehlerfrei arbeitet. Oder zumindest: einen Weg zu finden, wie es mit eigenen Fehlern in einer legitim erscheinenden Weise umgehen kann. Ein hoher Redundanzwert führt dazu, dass das System lernt, mehr verschiedenartige Operationen durchzuführen. Es erhöht seine Varietät, indem es mehr Differenzen herausschält. So gesehen, produzieren Redundanzen dann auch Informationen – aber nur intern für das System. Redundanzen dienen also zunächst dazu, Komplexität zu reduzieren, um dann von dieser Basis aus wiederum die Systemkomplexität zu steigern. Die meisten Kommunikationen aus der Umwelt des Rechtssystems haben für das System keinen Informationswert. Durch Redundanzen filtert das System, was rechtsrelevant ist und was nicht. Es kann allen irrelevanten Informationen gegenüber indifferent bleiben. Umweltgeräusche (noise) können auf diese Weise abgewehrt werden. Aber auch systemintern dienen Redundanzen dazu, Operationen entweder zu verknüpfen oder umgekehrt, keinen Zusammenhang herzustellen. Auf diese Weise managt das System Komplexität. Vollständiger Text auf luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 80. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 348, K08 1:17:58
1:17:58
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:17:58Wie die Theorie sozialer Systeme „juristische Argumentation“ definiert Herkömmliche Argumentationstheorien gingen von einem essentialistischen Weltbild der Vormoderne aus und definierten juristische Argumentation als überzeugendes Begründen. Für Begründungen gibt es jedoch keine Letztbegründung. Man landet unweigerlich bei der Autologie der „Vernunft“. Darum schlägt Luhmann eine Neudefinition vor. Diese orientiert sich strikt an der Kommunikation, die man im Rechtssystem vorfindet. Wie jede Kommunikation, verläuft auch juristisches Argumentieren nach dem Evolutionsschema Variation – Selektion – Restabilisierung. Dasselbe gilt für das Begründen. Immer handelt es sich um begriffliche Unterscheidungen, die selektiert werden (und darum kontingent sind). Juristische Argumentation ist demnach eine Kombination von je einer Seite dreier Unterscheidungen: Operation/Beobachtung, Fremd-/Selbstbeobachtung und strittig/unstrittig. Zunächst kritisiert Luhmann, dass herkömmliche Argumentationstheorien auf antiken und vormodernen Denkweisen beruhen. Diese sind geprägt durch die Begriffe Topik, Rhetorik, Dialektik und Hermeneutik. Gemeinsam ist ihnen ein essentialistisches Weltbild. Sie setzen ein menschliches Subjekt voraus, welches die „Essenz“ der Dinge (das „Wesen“ des Objekts) zweifelsfrei erkennen könnte. In dieser Vorstellung dient Argumentation dem Finden einer quasi einzig gültigen Wahrheit. Topoi (der Plural von Topik) sind Sprachbilder, die man heutzutage wohl am ehesten als Frames (Rahmen) bezeichnen würde. Etwa: eine Metapher, eine Verkettung von zwei Begriffen zu einem neuen Begriff (z.B.: Klima-Krise) oder eine Redewendung. Ein Frame legt unausgesprochen mehrere Eigenschaften, Bewertungen und Entscheidungen gleichzeitig nahe. Auf diese Weise liefert er, bewusst oder unbewusst, Informationen, aus denen man Argumente schöpfen kann. Z.B. legt der Begriff Terroranschlag mehrere Vorstellungen gleichzeitig nahe: Ereignisablauf, Opfer, Täter, Ursache, Folgen. Jede Einzelannahme kann unterschiedlich stark/schwach vorgeprägt sein. In einem Frame werden also diverse Denkschemata zu einem gemeinsamen Sinnhorizont verknüpft. Ein anderes Beispiel ist die „unsichtbare Hand“ von Adam Smith (1776). Dieses Sprachbild prägte die Vorstellung, wie Preise zustande kommen. Letztlich ist die Topik ein Fachbegriff der Rhetorik: Es geht darum, andere zu überzeugen. Die Semantik, die pure Wortwahl legt bestimmte Deutungen nahe. Rhetorik ist die sprachliche Kunstfertigkeit, so zu argumentieren, dass die Darstellung plausibel erscheint und beklatscht werden kann (lat.: applaudere). Zu diesem Zweck werden Ursachen und Wirkungen selektiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Schon Platon kritisierte, dass die Rhetorik weniger der Findung der „Wahrheit“ und mehr der Täuschung diene. Durch wohlfeiles Reden würde der Gesprächspartner regelrecht überredet. Auch die Dialektik (altgriechisch: Kunst der Unterredung, im Dialog) ging davon aus, dass eine argumentative Form der Gesprächsführung zur „Wahrheitsfindung“ führen würde. Im Gegensatz zur Rhetorik handelt es sich jedoch um eine methodische Anleitung zur Argumentation. Einer These wird eine Antithese gegenübergestellt und aus dem Widerspruch eine Synthese abgeleitet, die diesen Widerspruch „aufzuheben“ scheint. Bei Hegel vereinte sich der Widerspruch zwischen zwei Gegensätzen zu einem höheren Dritten. Marx nahm an, historisch würden sich logisch die „besseren“ Verhältnisse durchsetzen. Hermeneutik wiederum ist die Lehre von der Interpretation der Zeichen. Ihren Namen verdankt sie Hermes, dem Götterboten. Beim Orakel von Delphi ging es darum, mystische Zeichen zu deuten. Die hermeneutische Kunst sollte die Sprache der Götter erhellen und Weissagung (Devination) ermöglichen. Davon hingen Entscheidungen ab! Vollständiger Text auf www.luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 79. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 343, K08 1:21:00
1:21:00
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:21:00Juristische Argumentationstheorie setzt auf Begründungen. Doch was ist ein Grund? Luhmann kritisiert, dass der Begriff allein nichts besagt. Eine Begründung ergibt erst Sinn, wenn sie auf ausgewählte Unterscheidungen verweist. Die Kontingenz dieser Auswahl macht die Theorie sich nicht ausreichend bewusst. Was ist ein Grund? Den Grund an sich gibt es nicht. Das sieht man schon daran, dass es keinen Gegenbegriff gibt, keinen „Ungrund“ oder „Nichtgrund“. Der Begriff ist keine Zweiseitenform. Wer begründet, muss deshalb auf begriffliche Unterscheidungen verweisen, die selektiert werden. Wie bei jeder Auswahl, könnten auch andere Unterscheidungen ausgewählt werden. Damit sind Begründungen kontingent. Man kann immer weiter fragen, womit die Begründung begründet wird. Eine Letztbegründung gibt es nicht. Auch die „Vernunft“ hilft nicht weiter, sie begründet sich selbst mit sich selbst, ist also autologisch. Begründungen sind also eine Paradoxie. Sie begründen sich mit Gründen, die sich nicht endgültig begründen lassen. Um diese Paradoxie im Alltag zu managen (das heißt: zu invisibilisieren!), behilft sich die juristische Argumentation mit einer Ersatzunterscheidung: Man unterscheidet gute und schlechte Begründungen. Diese Ersatzunterscheidung ist sowohl praktisch wie auch theoretisch handhabbar. Man stellt Kriterien auf, was eine gute/schlechte Begründung ausmacht. Diese Kriterien sind jedoch ebenfalls kontingent. Zwangsläufig sind sie das Ergebnis einer weiteren Selektion, die anders hätte ausfallen können. Man kann die Auswahl nur wieder gut oder schlecht begründen. Der Kontingenz aber entkommt man nicht. Die Erkenntnis, dass Begründungen kontingent sind, weil sie auf ausgewählte Unterscheidungen zurückgehen, gehört für Luhmann zu den Errungenschaften des „modernen“ Denkens. Im Gegensatz dazu war die Vormoderne davon ausgegangen, es gäbe „objektive“ Wahrheiten, die ein „Subjekt“ nur erkennen müsse. Zum neuzeitlichen Denken gehört es auch, das Recht als operativ geschlossenes, autonomes Funktionssystem zu sehen, das Autopoiesis betreibt. Das heißt, das Rechtssystem produziert alle Rechtskommunikationen selbst. Dies geschieht, indem es permanent auf sich selbst verweist – auf andere Rechtskommunikationen des Systems. Diese Selbstreferenzialität des Rechtssystems wurde in der Theorie der begründenden Argumentation kaum berücksichtigt. Anstatt sich auf konkrete Argumentationsweisen in der Praxis zu beziehen, verlegte sie sich auf Verfahrensprinzipien. Diese werden auch unter dem Begriff Prozeduralisierung diskutiert. (Siehe Anmerkung am Textende.) Luhmann kritisiert, dass diese Theorien jedoch vor allem eigene Argumentationsweisen für bestimmte Verfahren empfehlen würden, ohne viel Rücksicht darauf, wie JuristInnen tatsächlich argumentieren. Teils handele es sich um verkappte Verhaltensvorschriften, die gar nicht umsetzbar sind, z.B. die Vorgabe, „alle Umstände der Situation“ zu berücksichtigen. An der juristischen Argumentation selbst, stellt Luhmann fest, gleiten solche Theorien ab. In der Praxis lebt die Argumentation von der Verschiedenartigkeit der Fälle. Damit erreicht sie eine hohe Spezifität, die sich nicht in allgemeine „Prinzipien“ auflösen lässt. Begründungen verweisen auf Rechtsbegriffe wie „Schuld“ oder „Haftung“. Ohne Referenz auf einen konkreten Fall wären solche Begriffe jedoch gar nicht verwendbar. Sie dienen nur als Keywords, die einen Analogieschluss zulassen. Auf diese Weise können Fallerfahrungen bewahrt, bestätigt und auf neue Sachverhalte ausgedehnt werden. Kurz, juristische Argumentation ist nicht aus Vernunftprinzipien ableitbar. Sie kann sich nicht auf ein Denkpotential berufen, das allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stünde. Sondern nur auf ihr eigenes: Argumentiert wird professionell, auf Basis einer Systemrationalität, die die rechtliche Kommunikation selbst festlegt. Vollständiger Text: luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 78. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 338, K08 1:23:54
1:23:54
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:23:54Zum Auftakt weist Luhmann darauf hin, was Argumentation im Rechtssystem nicht vermag: Argumente können geltendes Recht nicht ändern. Im Gegensatz dazu schränkt das geltende Recht die Möglichkeiten ein, wie argumentiert werden kann. Zum Beispiel: nicht mit Moral. Durch Texte sind verschriftlichtes Recht und mündliche Argumentation strukturell gekoppelt. Das heißt, Argumente müssen den vorliegenden Fall in Bezug setzen zum geltenden Recht und dieses interpretieren. Zum Beispiel muss ein Gesetzestext auf die Frage hin interpretiert werden, ob ein gleicher Fall vorliegt oder nicht. An welchen Begriff jedoch dabei angeknüpft wird, ob und wie oft eine Textstelle zitiert wird – all das war offen, als der ursprüngliche Text des geltenden Rechts entstand. Das heißt, Texte halten im Rechtssystem Strukturen fest, die jederzeit reproduziert werden können. Wann und wie diese Strukturen dann aber tatsächlich reproduziert werden, das geben sie nicht vor. Texte sind invariabel, sie existieren in einer Simultanpräsenz, alle gleichzeitig. Mündliche Kommunikation erfolgt dagegen in einer Sukzessionspräsenz. Man greift einzelne Aspekte aus dem Text heraus, an die unmittelbar angeschlossen werden kann. Hier ist Variation möglich, durch andere Begrifflichkeiten, neuartige Auslegung. Texte haben darum eine herausragende Bedeutung für das Rechtssystem: Gesetzestexte, Gesetzeskommentare, Gerichtsentscheidungen u.a. Dokumente ermöglichen eine vereinfachte Selbstbeobachtung. Zentral ist dabei die fachliche Fähigkeit von JuristInnen, diejenigen Textstellen überhaupt zu finden, die bei der Entscheidungsfindung relevant werden könnten. Einschlägige Textstellen zu finden und zu interpretieren, kann dabei zunächst auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung durchgeführt werden. Interpretation ist jedoch weit mehr als die bloße Verdeutlichung des Originaltextes in eigenen Worten. Faktisch entsteht dabei ein neuer Text auf Basis des alten. Und das Original dient darin nur noch als Referenz. Die Fähigkeit zur Beobachtung zweiter Ordnung wird JuristInnen abverlangt, sobald sie mit der Interpretation auch argumentieren müssen. Denn die Frage ist ja schon beim Lesen der Rechtstexte: Wie könnte man die eigene Auslegung in der Kommunikation handhaben? Sobald Zweifel auftauchen, ob der Text so oder so ausgelegt werden könnte, gilt es, mehrere Auslegungswege zu durchdenken. Dabei geht es darum, die dem ursprünglichen Text zugrunde liegende Entscheidungsregel zu finden und diese zu begründen. Der Anlass kann sein, dass die bisherige Auslegungsart zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt hat. Das heißt, dass auch schon bei der Interpretation von Texten Beobachtung zweiter Ordnung möglich ist. Das beginnt mit der Frage, welche „ursprüngliche Intention“ der Text gehabt haben könnte. Dem Rechtstext muss dabei eine Rationalität unterstellt werden, die von der Rationalität und von der Intention der Institution abgeleitet wird, die ihn geschaffen hat. Etwa: der Gesetzgeber. Die herkömmliche, begründende Argumentationstheorie orientierte sich an der Frage, ob ein Argument akzeptiert oder abgelehnt wird. Denn das ist evaluierbar. Dabei geht man davon aus, das Recht würde sich anhand von zwei primären Unterscheidungen selbst beobachten: Wie lassen sich anhand von Rechtstexten sichere Gründe für Argumente anführen? Wie lassen sich Argumente durch das Auffinden von Fehlern bei der Auslegung entkräften? „Fehler“ und „Gründe“ sind jedoch kein Gegensatz. Es ergibt keinen Sinn, das eine vom anderen zu „unterscheiden“. Beide Vorgehensweisen haben eine je eigene Funktion. Die Suche nach „Fehlern“ dient der Logiküberprüfung. Anhand der Fehlerfrage kann man unterscheiden: Ist die Argumentation und deren Prämissen logisch fehlerfrei oder fehlerhaft? Vollständiger Text auf Luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 77. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 333, K07 1:16:29
1:16:29
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:16:29Letzter Abschnitt über die Stellung der Gerichte im Rechtssystem: In einem primär funktional ausdifferenzierten System können auch andere Differenzierungsformen fortbestehen oder sich bilden. So gibt es in Politik, Wirtschaft und Recht je ein Entscheidungszentrum aus Staat, Banken und Gerichten. Nur in diesen Zentren finden wir noch eine weitere Ausdifferenzierung durch Hierarchie vor. In der Peripherie gibt es diese Hierarchie nicht. Die moderne Gesellschaft ist primär funktional differenziert: Globale Funktionssysteme wie Politik, Wirtschaft, Recht erfüllen als jeweils autonome Kommunikationssysteme unverzichtbare Funktionen für die Gesellschaft. Neben dieser dominanten Differenzierungsform können andere Formen gleichzeitig bestehen. Im Rechtssystem finden wir eine Differenzierung von Zentrum/Peripherie vor. Gerichte haben dort das Entscheidungszentrum gebildet. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass funktionale Differenzierung, wenn sie einmal bestimmend ist, auch andere Differenzierungsformen zu neuer Blüte bringen kann. Diese Annahme überprüft Luhmann, indem er analysiert, welche Differenzierungsformen wir in Wirtschaft und Politik vorfinden, also: über die primär funktionale Differenzierung hinaus. In der Wirtschaft stoßen wir auf ähnliche Strukturen. So wie Gerichte diverse Paradoxien des Rechtssystems managen (zum Beispiel, dass sie, um Recht zu sprechen, selbst „Richterrecht“ erzeugen), managen Banken Widersprüche des Wirtschaftssystems. Etwa, dass jede Geldzahlung gleichzeitig Zahlungsfähigkeit (beim Empfänger) und Zahlungsunfähigkeit (bei dem, der zahlt) erzeugt. Diese Paradoxie managen Banken, indem sie Zeitdifferenzen gewinnbringend nutzen: Sie vergeben Kredite, die allmählich mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen. Ebenso bringen Einlagen während der vereinbarten Anlagezeit Zinsgewinne. Allen Geschäften zugrunde liegt ein Zahlungsversprechen. Also ein Risiko, da man nie weiß, ob sich die Erwartung in der unvorhersehbaren Zukunft erfüllen wird. Die Geldtheorie hatte den Faktor Zeit bei der Vermehrung der Geldmenge lange vernachlässigt. Eine weitere Paradoxie, die Banken im Zusammenspiel mit der Zentralbank managen, besteht darin, die Geldmenge im System mal als konstant, mal als variabel zu behandeln. Im Unterschied zu Gerichten sind Banken aber eher Abschluss der funktionalen Ausdifferenzierung der Wirtschaft als System. Depositenbanken etwa, bei denen der Kunde der Bank Kredit gewährt durch Einlagen wie „Termingeld“, sind eine relativ junge Organisationsform. Im Gegensatz dazu markierte die Entstehung von Gerichten den Beginn der funktionalen Ausdifferenzierung des Rechtssystems. Beide Systeme sind in ihrer Selbstreproduktion (Autopoiesis) jedoch gleichermaßen von außen nicht mehr steuerbar; was man besonders an den Finanzmärkten bestaunen kann. Im Wirtschaftssystem bilden Banken das Zentrum. ... (Vollständiger Text auf luhmaniac.de)…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 76. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 328, K07 1:15:37
1:15:37
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:15:37In der geschichteten Gesellschaft hatten Adel und Volk nicht die gleichen Rechte. Infolge des Justizverweigerungsverbots entfallen solche gesamtgesellschaftlichen Vorgaben für die Rechtsentscheidung. Gerichte ersetzen sie durch Vorgaben, die sie autonom definieren können und die ausschließlich ihrer Funktion dienen: Profession und Organisation. Die „gottgebene“ Schichtung der Ständegesellschaft ist kein Entscheidungskriterium mehr. Das Gericht ersetzt derlei Vorgaben durch selbst bestimmbare Vorgaben: Organisation und Profession werden entscheidend dafür, wer wie unter welchen Bedingungen „Mitglied“ des Gerichtssystems werden kann und wie Entscheidungen herbeizuführen sind. Beide Vorgaben sind funktional orientiert. Sie dienen der Autopoiesis und damit der Autonomie. Das Gerichtssystem organisiert seine Kommunikation selbst – in Form von Behörden, Ausbildungsbedingungen, Kompetenznachweisen, Selbstaufsicht etc. Evolutionär war diese Entwicklung riskant. Immerhin wurde die Rechtsentscheidung von einer Vorgabe abgeschnitten, die jahrtausendelang das Weltbild geprägt hatte. Auch wenn es Kritik gibt, die bezweifelt, dass Gerichte unabhängig vom sozialen Ansehen entscheiden würden – es bleibt die soziologische Frage: Welche sozialen Einrichtungen waren nötig, um eine derartige Autonomie zu behaupten und abzusichern? Als Voraussetzungen kann man feststellen: Profession und Organisation. Aber was bedeutet das? Die Theorie sozialer Systeme bricht diese Begriffe auf die operationale Ebene herunter: Beides sind Operationen, die durch Kommunikation ausgeübt werden. Die Kommunikation ist funktional, sie dient der Grenzziehung zwischen Gerichtssystem und Umwelt. Indem das Gerichtssystem laufend eingrenzt, was professionell/unprofessionell ist, reproduziert es sich selbst. Der Begriff der Autopoiesis wird hierin erneut greifbar: Wie jedes soziale System, reproduziert auch das Gerichtssystem alle Kommunikationen, aus denen es besteht, ausschließlich selbst. Wie man RichterIn werden kann, was als professionell zu gelten hat, all das kann das Gericht selbst definieren und laufend internen Bedürfnissen anpassen. Die gesamtgesellschaftliche Vorgabe der Schichtung wird durch systeminterne Vorgaben ersetzt: Es braucht juristische Kompetenz, um Rechtsentscheidungen zu treffen. Durch Kompetenz wird dann auch die Frage entschieden, welche Organisationen ein Gerichtssystem braucht, welche Rollen es gibt und wie diese Organisationen zu arbeiten haben. Das System reguliert sich selbst und zwingt sich zur Selbstbeobachtung. Es gibt eine Dienstaufsicht. Es definiert, wie viel erledigt werden muss. Es koordiniert zeitliche Abläufe durch Termine. Die Interaktion im Gerichtssaal bedeutet Kommunikation unter Anwesenden und ist durch selbst entworfene Verfahrensregeln festgelegt. Der Umgang mit Fehlern ist systemintern reglementiert. Interne Streitigkeiten werden durch Argumentation gelöst, die wiederum professionell sein muss. Wer welche Positionen, Einkommen und Karrierewege einschlagen kann, wird ebenso durch Kommunikation definiert. Profession ist die Voraussetzung für Organisation. Karrierefragen werden durch Selbst- plus Fremdreferenz entschieden. Zwei Perspektiven müssen miteinander abgeglichen werden. Dies mag sich systemintern auf das Verhalten von RichterInnen auswirken. Die Umwelt könnte aber ihr Verhalten nicht „steuern“. Ein negatives Presse-Echo auf ein Urteil würde nichts am Gehalt, an der Position und an der Rechtsgültigkeit der Entscheidung ändern. RichterInnen können nicht für die Folgen ihrer Entscheidung verantwortlich gemacht werden! Durch Organisation wird dieses Risiko abgedeckt. Organisation ermöglicht Unverantwortlichkeit für die Folgen von Entscheidungen. Profession und Organisation sind also funktional äquivalent. Durch Profession kann das Gericht autonom entscheiden... Vollständiger Text auf luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
Im Rechtssystem bilden Gerichte das Zentrum. Und nur dort gibt es einen Zwang zu entscheiden. Was bedeutet das für die operative Geschlossenheit des Systems? Dies untersucht der sechste Abschnitt in zeitlicher und sachlicher Hinsicht. Zunächst geht es um die Zeitdimension von Entscheidungen. Eine Entscheidung kann nur in der Gegenwart getroffen werden. Sie unterbricht den Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft und stellt ihn neu wieder her. Die Form dieser Unterbrechung und Neuverknüpfung nennen wir eine Entscheidung. Wie aber verknüpft ein operativ geschlossenes System Vergangenheit und Zukunft? Die Vergangenheit wird im Fallformat rekonstruiert, mithilfe des Rechts, das ebenfalls in der Vergangenheit zustande kam. Beachtet wird nur, was für den Fall rechtsrelevant ist. Alles andere wird abgeschnitten. Aus dieser Limitierung von Informationen zur Vergangenheit ließe sich allerdings noch keine Gerichtsentscheidung ableiten. Es braucht zusätzlich einen rechtlichen Zukunftsentwurf. Die Zukunft wird skizziert, indem man Entscheidungsregeln entwickelt, die dann auch für gleiche Fälle in der zukünftigen Gerichtspraxis gelten werden. Zum Beispiel: Regeln, wie Gesetze zu interpretieren sind oder wie der Fall abstrahiert werden kann. Es gilt, Beschränkungen zu erfinden, die in Zukunft bindend sein werden. Man mutmaßt in der Gegenwart über eine zukünftige Gegenwart. Auf diese Weise schließt sich das Kommunikationssystem Recht zeitlich. Die Entscheidung des Gerichts konstruiert eine Verbindung von Vergangenheit und Zukunft, für die es so in der Realität keine Entsprechung gibt. Die Zukunft wird auch von anderen, unabsehbaren Entscheidungen mitgeprägt werden. Wenn die heute prognostizierte Zukunft eintritt, wird sie eine andere sein als die Prognose vermuten ließ. Die Gerichtsentscheidung konstruiert eine Eigenzeitlichkeit des Falls, eine zweite Zeit. Zeit wird als Differenz gehandhabt: Sie ist die Konstruktion eines Beobachters. Jede Beobachtung, die in der Kommunikation zum Ausdruck bringt, muss mit anderen Beobachtungen synchronisiert werden. Dabei handelt es sich zwangsläufig um eine Auswahl von Unterscheidungen und Bezeichnungen. Nur das, was zugrunde gelegt wird, ist anschlussfähig für andere Kommunikationen. Bei der rechtlichen Entscheidungsfindung erfüllt die Rekonstruktion der verschiedenen Perspektiven des Streitfalls die Funktion, sich auf die streitenden Parteien und auf die Vergangenheit zu beziehen. Das Erfinden von Entscheidungsregeln („Richterrecht“), die in gleichen Fällen wiederverwendet werden können, erfüllt dagegen die Funktion, sich auf die Zukunft zu beziehen und gesellschaftliche Erwartungen an das Recht zu stabilisieren. In der Sachdimension fällt auf, dass Gerichte sich selbst darin überwachen, ob ihre Entscheidungen auch konsistent sind. Dies geschieht durch Beobachtung zweiter Ordnung. Gerichte beobachten Rechtsentscheidungen (Rechtsprechung, Gesetzgebung und Verträge), welche ebenfalls zuvor Rechtsentscheidungen beobachtet hatten. All dies geschieht durch Interpretation von Texten. Gerichte interpretieren Rechtsentscheidungen allerdings anders als Politik und Wirtschaft. Gesetzgeber und Vertragspartner müssen nicht konsistent zwischen rechtmäßigen und nicht rechtmäßigen Interessen unterscheiden. Gesetze und Verträge dienen politischen bzw. wirtschaftlichen Zwecken. Wie ein Gericht das Gesetz oder den Vertrag im Streitfall beurteilen würde, können Politik und Wirtschaft nur antizipieren. Gerichte belegen dagegen durch Argumentation, dass ihre Entscheidungen rechtlich konsistent sind. Vollständiger Text auf www.luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 74. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 320, K07, V 1:38:01
1:38:01
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:38:01Einst hierarchisch differenziert, sind Politik und Recht heute funktional differenzierte Systeme gleichen Ranges. Dieser Wechsel der Differenzierungsform wurde erst möglich, nachdem sich das Recht intern ausdifferenzierte: in ein Zentrum und eine Peripherie. In der Ständegesellschaft waren Politik und Recht nur formal getrennt. In der Praxis stand die Gesetzgebung des Monarchen meist hierarchisch über der Rechtsprechung. Im Übergang zur Moderne kommt es zu einem Wechsel dieser Differenzierungsform. Angestoßen wird der Umbau durch das Verbot der Justizverweigerung. Damit bürden sich Gerichte selbst den Zwang auf, jeden ihnen vorgelegten Fall rechtlich zu entscheiden – auch wenn es gar keine Gesetze gibt, die eine Entscheidung möglich machen. Dieser Zwang zu entscheiden ermöglicht Gerichten jedoch die Freiheit, selbst Regeln zu entwickeln, wie sie trotz mangelhafter Gesetzeslage entscheiden können. Das Rechtssystem differenziert sich entlang dieser Anforderung intern neu aus nach dem Schema Zentrum/Peripherie. Gerichte bilden nun das Zentrum. Nur im Zentrum muss zwischen rechtmäßigen/unrechtmäßigen Interessen entschieden werden. Alle anderen Operationen des Rechts, von der Gesetzgebung über die Verträge der Wirtschaft bis zum Testament, bilden die Peripherie des Rechtssystems. Dort muss nicht zwischen rechtmäßigen/unrechtmäßigen Interessen unterschieden werden. Gesetze und Verträge sind zwar rechtlich bindend, aber ob sie rechtlich „richtig“ erstellt wurden, ist damit noch nicht gesagt. Nur ein Gericht könnte das entscheiden. Innerhalb des Kommunikationssystems Recht findet also ein Umbau statt. Das Gericht hat sich seine Alleinzuständigkeit für die Unterscheidung von rechtmäßigen und unrechtmäßigen Interessen gesichert, begründet mit einzigartiger Kompetenz, die sonst nirgendwo in der Gesellschaft erfüllt werden könnte. Aus seinem Entscheidungszwang schöpft das Gericht, wie gesagt, zugleich die Freiheit, bei fehlenden gesetzlichen Grundlagen selbst Regeln zu entwickeln, wie trotz Unentscheidbarkeit entschieden werden kann. Durch dieses „Richterrecht“ schafft das Gericht jedoch selbst Recht, was gar nicht seine Funktion ist. Diese Paradoxie managen die Gerichte dann in „kognitiver Selbstisolation“: Sie entwickeln strenge, interne Regeln, welche Kompetenzen Richter brauchen, um „Mitglied“ des Gerichtssystems werden zu dürfen, und natürlich: wie Gerichtsverfahren abzulaufen haben und wie man trotz Unentscheidbarkeit entscheiden kann und sogar muss. Im Gegenzug kann die Peripherie Gesetze erlassen und Verträge verabschieden, ohne zwischen rechtmäßigen und unrechtmäßigen Interessen unterscheiden zu müssen. Am Ende dieses Umbauprozesses sind Politik und Recht jeweils autonom. Kein System ist „wichtiger“ als das andere. Eine Hierarchie zwischen ihnen gibt es nicht mehr. Aber es gibt eine Hierarchie innerhalb des Zentrums im Recht. Bestimmte Gerichte stehen rangmäßig über den anderen, etwa das Verfassungsgericht an der Spitze. Zugleich gibt es dort segmentäre Differenzierung: Gleiche Gerichtsformen sind in ihrem Rang untereinander gleich. Damit finden wir heute folgende Differenzierungsformen vor: Differenzierung zwischen Politik und Recht: funktional und segmentär (gleichrangig) Interne Differenzierung des Rechts: Zentrum (Gerichte)/Peripherie (Gesetzgebung und Verträge) Interne Differenzierung im Rechtszentrum: Hierarchie (Rangungleichheit zwischen verschiedenen Gerichten) plus Segmentierung (gleiche Gerichte sind ranggleich) Der Umbau der Politik/Recht-Differenzierung von hierarchisch auf funktional erforderte also eine weitere Differenzierungsform, die nur innerhalb des Rechts vollzogen wurde: die interne Differenzierung in ein Zentrum für Gerichte und eine Peripherie für Gesetze und Verträge. Vollständiger Text auf www.luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 73. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 316, K07, IV 1:05:53
1:05:53
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:05:53Mit dem „Verbot der Justizverweigerung“ bürden sich Gerichte auf, jeden Fall zu entscheiden. Zugleich ermöglicht ihnen dieser Zwang jedoch die Freiheit, selbst Regeln zu entwickeln, wie man trotz Unentscheidbarkeit entscheiden kann. Durch diese Regeln schaffen sie allerdings selbst Recht. Das so entstehende „Richterrecht“ beruht also auf der Paradoxie, dass die Rechtsprechung erstmal Recht schaffen muss, um Recht sprechen zu können. In dem Justizverweigerungsverbot sieht Luhmann denn auch den „Ausgangspunkt für die Konstruktion eines juristischen Universums“. Eine Art Startrampe für das Rechtsdenken und die juristische Argumentation der Moderne. Durch ihre Selbstbindung an den Entscheidungszwang erlauben sich Gerichten selbst, immer dann, wenn kein Recht „gefunden“ werden kann, es eben selbst zu „erfinden“. Im Kern ist das eine Paradoxie: Die Rechtsprechung schafft Recht, um Recht zu sprechen. Dies geschieht denn auch nur „mit linker Hand“. Es ist nicht ihre Hauptaufgabe. Die Entwicklung von Regeln läuft nebenbei mit. Diese Paradoxie hat jedoch Auswirkungen auf das gesamte Rechtssystem. Sie ist der Grund, warum die juristische Argumentation so stark auf mögliche Zukunftsfolgen von Entscheidungen abstellt – obwohl man die Zukunft niemals kennen kann. Die sorgfältige Einschätzung dient als Ausweg, um die Paradoxie zu invisibilisieren, dass trotz Unentscheidbarkeit entschieden wird. Man verzeitlicht. Das Justizverweigerungsverbot ist nicht nur eine Norm, sondern eine autologische Vorschrift: Sie beschreibt sich selbst und sie bezieht sich auf sich selbst (ist also selbstreferentiell). Zu den Auswirkungen zählt, dass man die selbst geschaffenen Regeln wiederverwenden kann bzw. muss, wenn ein gleicher Fall vorliegt. Hat ein Gericht eine Sache entschieden (res iudicata), kann sich ein anderes Gericht nicht nur auf das rechtskräftig ergangene Urteil beziehen, sondern auch auf das vorangegangene „Richterecht“, das in diesem Fall geregelt hat, wie man vorgehen muss, um zu einer Entscheidung zu kommen. „Richterrecht“ operiert selbstreferentiell, es verweist auf sich selbst. Genau das ermöglicht eine Autonomie von Gerichten in der Frage, auf welche Art und Weise Rechtsprechung zustande kommen muss. Was Autonomie bedeutet, zeigt sich dann auch daran, wie unverständlich „juristische Argumentation“ für Laien sein kann. Die selbstreferentielle Art und Weise, mit der innerhalb des Rechts argumentiert wird, ist für Laien schwerlich nachvollziehbar. Auch im angelsächsischen Kreuzverhör zeigen sich Folgen des Entscheidungszwangs, der Autonomie ermöglichte. Es regelt zum Beispiel, dass Zeugen oder Sachverständige nur durch StaatsanwältInnen und StrafverteidigerInnen befragt werdem dürfen. Welche Gesichtspunkte bei der Argumentation ausgewählt werden dürfen, ist durch die Gerichte bestimmt. Solche Entscheidungsregeln sind die sogenannten Programme des Gerichtssystems. Zugleich garantiert die normative Unterscheidung zwischen Recht/Unrecht bei jedem ausgewählten Aspekt, dass der Ausgang des Verfahrens offenbleibt. Es gilt die Unschuldsvermutung bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Urteil rechtskräftig wird. Das heißt, der Code (die leitende Unterscheidung von Recht/Unrecht, die auf jedes Argument angewendet werden muss) und die Programme des Systems (Selbstbindung an den Entscheidungszwang mit der Freiheit, „Richterrecht“ zu schaffen und sich auf selbst geschaffene Regeln zu beziehen) geben jene Struktur vor, die im Gerichtssystem des Rechts einzuhalten ist und die letztlich eine finale Entscheidung ermöglicht. Die Selbstbindung ans Justizverweigerungsverbot ermöglicht letztlich auch eine Verfahrensgarantie, die in der Verfassung abgesichert wurde. Vollständiger Text auf Luhmaniac.de…
L
Luhmaniac liest und interpretiert Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft
1 72. Luhmann Systemtheorie: Recht der Gesellschaft, S. 310, K07, IV 1:15:59
1:15:59
Riproduci in seguito
Riproduci in seguito
Liste
Like
Like aggiunto
1:15:59Mit dem Verbot der Justizverweigerung bringt das Rechtssystem die universale Zuständigkeit und Entscheidungsfähigkeit von Gerichten zum Ausdruck. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Autonomie im 19. Jahrhundert. „Verbot der Justizverweigerung“ bedeutet, dass Gerichte jeden Fall, der ihnen vorgelegt wird, entscheiden müssen. Im römischen Recht und auch im Mittelalter hatte das Recht nur bestimmt definierte Klagen entschieden. Mit dem Übergang zur funktional differenzierten Gesellschaft braucht es vollumfängliche Zuständigkeit. Die operative Schließung als autonomes System verlangt es, keinen Fall zurückzuweisen. Der Anspruch folgt aus der funktionalen Prämisse des Rechtssystems selbst, alleinzuständig für die Unterscheidung von Recht/Unrecht zu sein. Das darum selbst auferlegte Verbot, Entscheidungen zu verweigern, ermöglichte es dann auch, die Zuständigkeit auf „öffentliche Angelegenheiten“ auszuweiten. Entscheidend ist die damit verbundene Ausweitung der strukturellen Möglichkeit. Jedem steht es nun frei, im Streitfall ein Gericht anzurufen. Diese Strukturveränderung vollzieht sich im 19. Jahrhundert, in der Zeit, als Kant den Vorrang der Praxis vor der Erkenntnis verkündet. Alle Funktionssysteme autonomisieren sich, die Gesellschaft entwickelt ein Bewusstsein für Komplexität*. Überall muss zunehmend rasch gehandelt werden. Theorien kosten Zeit, Verkürzung ist gefragt. Mit diesem Trend zum Pragmatismus korrespondiert das Justizverweigerungsverbot. Da sich das Recht positiviert, erscheint es auch akzeptabel, dass menschgemachte Entscheidungen nicht so unfehlbar sind und so zeitbeständig sein müssen wie Gottes Wille. Dass trotz „Lücken im Recht“ Urteile zustande kommen, wird zur Norm, mit notfalls kontrafaktischem Geltungsanspruch. Das Justizverweigerungsverbot bringt Universalität und Entscheidungsfähigkeit zum Ausdruck. Es kombiniert zwei Garantien: Kein vorgelegter Fall kann abgelehnt werden, und jeder Fall wird mit einer Entscheidung abgeschlossen. Infolge des Verbots entwickeln die Gerichte umfangreiche Regeln („Richterrecht“), wie zu entscheiden ist und was als Behinderung der Arbeit gilt. Z.B.: weil formale Kriterien nicht erfüllt wurden oder ein Gesetz nicht verfassungskonform war. Rechtsgrundsätze werden weiterentwickelt, Richter müssen sich fortbilden. Für die Entwicklung der Rechtstheorie, an der das System lernen kann, sind die hard cases im anglo-amerikanischen Common Law von herausragender Bedeutung. Hierbei handelt es sich um besonders schwierige Fälle, die mit den Mitteln des Rechts nicht eindeutig entschieden werden können. Gerichte müssen darum Entscheidungsregeln entwickeln, die es ihnen möglich machen, „trotzdem“ zu entscheiden. Die Geltung solcher Regeln, die für Präzedenzfälle entwickelt werden, kann umstritten sein und bleiben. Begründungen von Entscheidungen werden entsprechend kurzgehalten, um unnötige Selbstfestlegung zu vermeiden. Man beschränkt sich auf das Notwendige. Dabei unterscheidet man deutlich zwischen rationes decidendi (Entscheidungsrationalität) und obiter dicta, nebenbei geäußerten Rechtsansichten, die nicht zur Entscheidungsfindung beitrugen. Der Zwang zu entscheiden und die Freiheit, Regeln zu entwickeln, stehen in einem notwendigen Spannungsverhältnis. Dieses endet, sobald das Urteil zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtskräftig wird. Auch wenn an den Regeln im Nachhinein Zweifel aufkommen sollten – die Rechtskraft des Urteils steht damit nicht in Frage. Anders als Gesetze, kann das Urteil nicht nachträglich an veränderte Annahmen und Regeln angepasst werden. „Richterrecht“ ist demnach nicht nur eine Norm, sondern eine autologische Vorschrift. Mit dem Verbot der Justizverweigerung verlangen sich Gerichte ab, Regeln zu entwickeln, wie sie auch unter widrigen Umständen entscheiden können. Vollständiger Text auf luhmaniac.de…
Benvenuto su Player FM!
Player FM ricerca sul web podcast di alta qualità che tu possa goderti adesso. È la migliore app di podcast e funziona su Android, iPhone e web. Registrati per sincronizzare le iscrizioni su tutti i tuoi dispositivi.