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„Leben mit einem Idioten“ – Kirill Serebrennikov bringt Wiederentdeckung nach Zürich

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Serebrennikov verzichtet auf allzu direkte Putin-Bezüge

„Das Leben mit einem Idioten ist voller Überraschungen“ singt der Chor am Anfang von Schnittkes gleichnamiger Oper. Am Opernhaus Zürich ist sie in der Regie von Kirill Serebrennikov in der Tat voll davon. Bei der Uraufführung 1992 in Amsterdam spielte der Sänger der Titelfigur mit einer Leninmaske. Wowa ist der eigentliche Name dieses Idioten, die Koseform von Wladimir, dem Vornamen des sowjetischen Diktators. Und auch Lenins Lieblingslied „Auf dem Feld steht eine Birke“ wird von Schnittke bewusst zitiert. Von dieser Parabel auf den realexistierenden Sozialismus, vom Eindringen des Irrsinns der Diktatur in den Alltag einer Ehe, mag Serebrennikov nicht so viel wissen. Und schon gar nichts hält er von Anspielungen auf den anderen Wladimir im heutigen Russland. Die Verweigerung mag überraschend sein, da das Libretto der Oper vom erklärten Putin-Gegner Viktor Jerofejew stammt. Doch Serebrennikov erkennt in der surrealen, oft auch wirklich irr komponierten, in hysterische Tonlagen ausgreifenden Oper vor allem auch ein Ehedrama, eine Dystopie und einen bitteren Abgesang auf eine zerstörte Liebe.

Der Anstaltsinsasse wird zum Geliebten des „Ichs“

Die durchbrochene und oft nicht chronologisch ablaufende Oper beginnt in einem weißen, sterilen Raum. Es ist eine Art Labor oder Hörsaal mit ansteigendem Podium, auf dem der Chor wie in einer griechischen Tragödie nach und nach platziert wird. Dann beginnt der Bericht der einfach „Ich“ genannten Hauptfigur und seiner Frau für die Akademie und das Publikum. Weil er als empathielos gilt, wird er dazu bestimmt, einen Idioten aus der Anstalt bei sich zu Hause aufzunehmen. Der vom Wärter als kommunikativ geschilderte Irre kann eigentlich nur den Ton „Äch“ von sich geben. Nach und nach bemächtigt er sich des Hauses, leistet ganze Zerstörungsarbeit, kotet auf den Teppich, vergewaltigt die Frau und hat schließlich mit „Ich“ eine schwule Liebesaffäre. Die eifersüchtige Frau macht er mit der Gartenschere einen Kopf kürzer, stopft die Leiche in den Müllschlucker, bevor er aus dem Leben „Ichs“ verschwindet. Der vollkommen Zerbrochene beginnt selbst nur noch „Äch“ zu singen und landet in der Irrenanstalt.

Matthew Newlin als Alter Ego von Kirill Serebrennikov

Drastisch ist bei Serebrennikov nicht dieses Horrorszenario der Zerstörung, sondern die Performance des Idioten. Campbell Caspary, ein Prachtkerl von einem Mann, liefert als Tanz-Double des Idioten eine nackte, irre Choreografie, ein Entfesselter, wenn er beim Einzug in die Wohnung die Hannibal-Lector-Maske abgenommen bekommt. Matthew Newlin balanciert als Sänger die „Äch“-Töne und aberwitzigen Melodieführungen, ist zugleich Strippenzieher der Performance–Marionette und der heimliche Regisseur des Ganzen. Und er sieht aus wie das jüngere Alter Ego des Regisseurs Serebrennikov mit Bart, Kette und schwarzer Strickkappe.

Bo Skovhus und Susanne Elmark mit großer Spielkraft

Der markante Bo Skovhus und die Extremsängerin Susanne Elmark spielen die Szenen einer Ehe mit großer Kraft der emotionalen Berührung. Man glaubt diesem „Ich“, dass es am Ende tatsächlich eine erfüllte Liebesbeziehung mit dem Idioten lebt, die so pervers, wie zärtlich ist. Der Idiot selbst ist ein Eindringling von mythischer Qualität. Mit heiligem Strahlenkranz sitzt er einmal wie ein außerirdischer Heiliger ganz oben im Altarbild des Chors. Und den Ablauf des Zerstörungskreislauf aus Irrsinn, Sexualität und Begehren deklariert der Sänger des Idioten als die fünf Kreise des Lebens, des Essens, des Verschwindens der Gegenstände, der Scheiße und des Todes. Serbrennikov will hier viel. Die Oper ausweiten zum universellen Drama mit Anspielung auf die Höllenkreise in Dantes „Göttlicher Komödie“. Manchmal wird es auch Zuviel. So entsteht ein Horror Vacui, bei dem das Auge nicht mehr weiß, in welche Ecke des Bühnengeschehens es blicken soll.

Bezüge zwischen Renoir und Proust

Am Anfang läuft es wie ein Horrorfilm ab, mit der Choreografie des Idioten als exaltiertem Totentanz und es endet mit der Tatortbesichtigung der Behörden. Die blutrünstigen Mordhalluzinationen lässt Serebrennikov dann im Sinne eines Künstlerdramas mit Action Painting auf der Leinwand ablaufen, während „Ich“ davon fantasiert, Renoir zu sein. Und dann gibt es da auch noch den leibhaftigen Marcel Proust, dessen Riesenroman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ für die Frau zur Verzweiflungslektüre wird, deren Seiten vom Idioten in die Toilette gestopft werden.

Enorme Leistung von Chor und Orchester

Das Überbordende des Abends ist allerdings in der zum Ende hin ausfransenden Dramaturgie Schnittkes und Jerofejews angelegt. Irgendwie verschwindet der Idiot auch aus seinem Stück, das Double mischt sich unter den Chor, der Sänger tritt durch die obere Seitentür ab. Dann fügt Serebrennikov noch einen letzten Summchor aus Schnittkes Filmmusik zum Rasputin-Drama „Agonia“ ein – ein anderer Irrer der russischen Untergangsgeschichte – und hat damit dem Anspielungsreichtum noch einen Zacken draufgesetzt. Der Jubel im Opernhaus Zürich ist groß. Nicht zuletzt auch für die enormen Leistungen des Chors und der Philharmonia Zürich. Mit Jonathan Stockhammer am Pult leitet einer der großen Dirigenten für die Musik der Moderne mit enormer Souveränität Schnittkes dichte Schichtung seiner Polystilistik mit ihren Anspielungen quer durch die Musikgeschichte. Ob damit eines der Meisterwerke aus den späten Jahren der Moderne des 20. Jahrhunderts hier wiederentdeckt wurde, mag einmal dahingestellt sein. Am Ende kommt der Librettist Viktor Jerofejew zum begeisterten Schlussapplaus auf die Bühne. Und er scheint alles gutzuheißen.
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Serebrennikov verzichtet auf allzu direkte Putin-Bezüge

„Das Leben mit einem Idioten ist voller Überraschungen“ singt der Chor am Anfang von Schnittkes gleichnamiger Oper. Am Opernhaus Zürich ist sie in der Regie von Kirill Serebrennikov in der Tat voll davon. Bei der Uraufführung 1992 in Amsterdam spielte der Sänger der Titelfigur mit einer Leninmaske. Wowa ist der eigentliche Name dieses Idioten, die Koseform von Wladimir, dem Vornamen des sowjetischen Diktators. Und auch Lenins Lieblingslied „Auf dem Feld steht eine Birke“ wird von Schnittke bewusst zitiert. Von dieser Parabel auf den realexistierenden Sozialismus, vom Eindringen des Irrsinns der Diktatur in den Alltag einer Ehe, mag Serebrennikov nicht so viel wissen. Und schon gar nichts hält er von Anspielungen auf den anderen Wladimir im heutigen Russland. Die Verweigerung mag überraschend sein, da das Libretto der Oper vom erklärten Putin-Gegner Viktor Jerofejew stammt. Doch Serebrennikov erkennt in der surrealen, oft auch wirklich irr komponierten, in hysterische Tonlagen ausgreifenden Oper vor allem auch ein Ehedrama, eine Dystopie und einen bitteren Abgesang auf eine zerstörte Liebe.

Der Anstaltsinsasse wird zum Geliebten des „Ichs“

Die durchbrochene und oft nicht chronologisch ablaufende Oper beginnt in einem weißen, sterilen Raum. Es ist eine Art Labor oder Hörsaal mit ansteigendem Podium, auf dem der Chor wie in einer griechischen Tragödie nach und nach platziert wird. Dann beginnt der Bericht der einfach „Ich“ genannten Hauptfigur und seiner Frau für die Akademie und das Publikum. Weil er als empathielos gilt, wird er dazu bestimmt, einen Idioten aus der Anstalt bei sich zu Hause aufzunehmen. Der vom Wärter als kommunikativ geschilderte Irre kann eigentlich nur den Ton „Äch“ von sich geben. Nach und nach bemächtigt er sich des Hauses, leistet ganze Zerstörungsarbeit, kotet auf den Teppich, vergewaltigt die Frau und hat schließlich mit „Ich“ eine schwule Liebesaffäre. Die eifersüchtige Frau macht er mit der Gartenschere einen Kopf kürzer, stopft die Leiche in den Müllschlucker, bevor er aus dem Leben „Ichs“ verschwindet. Der vollkommen Zerbrochene beginnt selbst nur noch „Äch“ zu singen und landet in der Irrenanstalt.

Matthew Newlin als Alter Ego von Kirill Serebrennikov

Drastisch ist bei Serebrennikov nicht dieses Horrorszenario der Zerstörung, sondern die Performance des Idioten. Campbell Caspary, ein Prachtkerl von einem Mann, liefert als Tanz-Double des Idioten eine nackte, irre Choreografie, ein Entfesselter, wenn er beim Einzug in die Wohnung die Hannibal-Lector-Maske abgenommen bekommt. Matthew Newlin balanciert als Sänger die „Äch“-Töne und aberwitzigen Melodieführungen, ist zugleich Strippenzieher der Performance–Marionette und der heimliche Regisseur des Ganzen. Und er sieht aus wie das jüngere Alter Ego des Regisseurs Serebrennikov mit Bart, Kette und schwarzer Strickkappe.

Bo Skovhus und Susanne Elmark mit großer Spielkraft

Der markante Bo Skovhus und die Extremsängerin Susanne Elmark spielen die Szenen einer Ehe mit großer Kraft der emotionalen Berührung. Man glaubt diesem „Ich“, dass es am Ende tatsächlich eine erfüllte Liebesbeziehung mit dem Idioten lebt, die so pervers, wie zärtlich ist. Der Idiot selbst ist ein Eindringling von mythischer Qualität. Mit heiligem Strahlenkranz sitzt er einmal wie ein außerirdischer Heiliger ganz oben im Altarbild des Chors. Und den Ablauf des Zerstörungskreislauf aus Irrsinn, Sexualität und Begehren deklariert der Sänger des Idioten als die fünf Kreise des Lebens, des Essens, des Verschwindens der Gegenstände, der Scheiße und des Todes. Serbrennikov will hier viel. Die Oper ausweiten zum universellen Drama mit Anspielung auf die Höllenkreise in Dantes „Göttlicher Komödie“. Manchmal wird es auch Zuviel. So entsteht ein Horror Vacui, bei dem das Auge nicht mehr weiß, in welche Ecke des Bühnengeschehens es blicken soll.

Bezüge zwischen Renoir und Proust

Am Anfang läuft es wie ein Horrorfilm ab, mit der Choreografie des Idioten als exaltiertem Totentanz und es endet mit der Tatortbesichtigung der Behörden. Die blutrünstigen Mordhalluzinationen lässt Serebrennikov dann im Sinne eines Künstlerdramas mit Action Painting auf der Leinwand ablaufen, während „Ich“ davon fantasiert, Renoir zu sein. Und dann gibt es da auch noch den leibhaftigen Marcel Proust, dessen Riesenroman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ für die Frau zur Verzweiflungslektüre wird, deren Seiten vom Idioten in die Toilette gestopft werden.

Enorme Leistung von Chor und Orchester

Das Überbordende des Abends ist allerdings in der zum Ende hin ausfransenden Dramaturgie Schnittkes und Jerofejews angelegt. Irgendwie verschwindet der Idiot auch aus seinem Stück, das Double mischt sich unter den Chor, der Sänger tritt durch die obere Seitentür ab. Dann fügt Serebrennikov noch einen letzten Summchor aus Schnittkes Filmmusik zum Rasputin-Drama „Agonia“ ein – ein anderer Irrer der russischen Untergangsgeschichte – und hat damit dem Anspielungsreichtum noch einen Zacken draufgesetzt. Der Jubel im Opernhaus Zürich ist groß. Nicht zuletzt auch für die enormen Leistungen des Chors und der Philharmonia Zürich. Mit Jonathan Stockhammer am Pult leitet einer der großen Dirigenten für die Musik der Moderne mit enormer Souveränität Schnittkes dichte Schichtung seiner Polystilistik mit ihren Anspielungen quer durch die Musikgeschichte. Ob damit eines der Meisterwerke aus den späten Jahren der Moderne des 20. Jahrhunderts hier wiederentdeckt wurde, mag einmal dahingestellt sein. Am Ende kommt der Librettist Viktor Jerofejew zum begeisterten Schlussapplaus auf die Bühne. Und er scheint alles gutzuheißen.
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